Johannas China-Tagebuch Teil I: Kulturelle Eindrücke

Johanna Meier ist eine 21-jährige Studentin, die ein Stipendium für eine Business Universität in China erhalten hat. Der vierwöchige Aufenthalt beinhaltete Reisen nach Peking und Shanghai, sowie die Teilnahme am „Summer-School“-Programm der Dongbei University of Finance and Economics in Dalian. Hier berichtet Sie nun für euch wöchentlich über Ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke, die sie während dieser Zeit gesammelt hat. Los geht’s mit der ersten Folge „Vom chinesischen Gruppenverhalten, Plumpsklos und anderen Skurrilitäten

Der erste Eindruck

Knallrot mit goldenen Sternen geschmückt stechen uns die jeden zehnten Meter positionierten Nationalflaggen wie Feuerbälle ins Auge. Um uns herum wird geschuppst, gedrängelt, schamlos gespuckt. Wir blicken in ausdruckslose Gesichter, in denen von einem Lächeln jede Spur fehlt und wir uns deshalb fragen, womit dieses Land den Beinamen „Land des Lächelns“ verdient hat. Innerhalb von fünf Minuten wurden sämtliche Vorurteile, mit denen wir eigentlich aufräumen wollten, bestätigt.
Ja, China ist tatsächlich schmutziger als andere Länder. Ja, die Menschen sind unfreundlicher und rücksichtsloser. Ja, die Chinesen haben Vorlieben für seltsame Speisen und ja, sie benutzen verdreckte Löcher im Boden als Toilette. Doch habe ich während meines vierwöchigen Aufenthalts auch gelernt warum dies so ist und plötzlich erkannt, dass dieses neu erlernte Verständnis die negativen Aspekte relativiert.

Gruppenverhalten auf chinesisch

Auffällig oft begegnen uns Gruppierungen, die eine einheitliche Uniform tragen und somit einen aus dem Kommunismus rührenden Kollektivismus demonstrieren. Der Grundgedanke des „Wir“ überschattet das Individuum, was im Alltag durch gleich gekleidete, Fahnen schwenkende Gymnastikgruppen im Park, Camouflage tragende Schüler oder auch das Essen aus einem gemeinsamen Topf im Restaurant zum Ausdruck gebracht wird.
Aus am Strand, an Shoppingmeilen oder Monumenten angebrachten Lautsprechern ertönen sich ständig wiederholende kommunistisch geprägte Parolen, die an genau dieses einheitliche Gruppendasein erinnern wollen. Und auch die wie ein Mahnmal angebrachten Mao-Porträtierungen in Discotheken, die sich wie ein moralischer Zeigefinger über die feiernden Mengen erstrecken, sollen dafür sorgen, dass sogar beim vergnüglichen Ausgelassensein die kommunistischen Werte nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

Klar hat ein solch kollektivistisches Verhalten seine Vorteile. Man ist füreinander da, kümmert sich um die Gruppe, entscheidet zu Gunsten des Gemeinwohls. Doch wie uns unser chinesischer Dozent in einer Vorlesung mitteilte, hat auch diese Münze eine zweite Seite. Durch den immer größer werdenden Einfluss der westlichen Welt bekommt besonders die jüngere Generation vorgelebt, mehr Wert auf individuelle Sichtweisen zu legen. Das steht in engem Konflikt mit dem von der chinesischen Gesellschaft propagierten Gruppen-Dasein.

Zahlreiche Jugendliche finden sich somit in einem kulturellen Zwiespalt wieder, schwanken zwischen Selbstverwirklichung und Gruppentreue, was in schweren Depressionen und nicht zuletzt in Suizid enden kann. Die Selbstmordraten sind dramatisch gestiegen und längst ist klar, dass dieser Zusammenprall von individualistischer und kollektivistischer Welt viele Menschen in eine tiefe Identitätskrise reißt.

Neutral, aber doch herzlich

Auch die oft kritisierte Ausdruckslosigkeit der Chinesen könnte man im entferntesten Sinne mit den kollektivistischen Wurzeln begründen. Viel mehr jedoch ist ersichtlich, dass Chinesen sich neutraler Verhalten als Europäer oder Amerikaner, um nicht zu viel von ihrem emotionalen Zustand zu zeigen und somit eine Art Selbstschutz an den Tag legen. Dies ist jedoch nur gegenüber ihnen fremden Menschen der Fall. Chinesen brauchen wesentlich länger, bis sie sich einem Fremden öffnen. Gewinnt man jedoch nach einiger Zeit ihr Vertrauen, können sie um einiges affektiver wirken, als manch ein Westlicher. So durften wir überrascht erkennen, wie herzlich, offen und liebenswürdig unsere chinesischen Dozenten, die Ansprechpartner der Universität und auch Studenten waren, nachdem wir ihnen eine kurze Anlaufphase gewährt hatten.

Ich stellte also fest, dass die Vorurteile nicht auf jeden zutreffen, es zahlreiche Ausnahmen gibt und kulturelle Unterschiede ein anderes Land ja auch erst interessant und sehenswert machen. Nur das mit dem Spucken und den Plumpsklos werde ich wohl nie verstehen. Und das ist auch ganz okay so.

Kommentare sind geschlossen.