Praktikum im Land der singenden Busse

2013.10 - Op Joeck Taiwan DSCI0047In den Semesterferien hat Josefine Schaefer ein Praktikum in einem Übersetzungsbüro in Taiwan gemacht. Für SLIK berichtet sie von ihren Erlebnissen.

„Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“, so ein taiwanesisches Sprichwort. Als ich bei gefühlten Minus 2 Grad und eisigem Wind in Köln den ersten Schritt in Richtung Taiwan machte, war ich wahnsinnig aufgeregt und hatte keine Ahnung, was mich dort erwarten würde: Sechs Wochen Praktikum in einer Sprachschule mit Übersetzungsbüro waren geplant, außer ein paar netten E-Mails von meinen Mitpraktikanten hatte ich jedoch kaum Informationen erhalten.

Von Köln ging es nach Hongkong, von dort mit einer kleinen, wackeligen Maschine nach Kaohsiung im Süden der „Isla Formosa“, wie Taiwan auch genannt wird. Sobald das Flugzeug zum Landen ansetzte, waren all die Müdigkeit, der Stress und die Anstrengung der weiten Reise wie weggeblasen und hatten der Vorfreude auf meinen Aufenthalt hier Platz gemacht.

Für die Zeit meines Praktikums war ich bei Liam, einer Schülerin der Sprachschule und ihrer Familie untergebracht. Unter der Bedingung, dass die andere Praktikantin und ich sie beim Deutschlernen unterstützen und ihr dabei helfen, sich an deutschen Studienkollegen zu bewerben, durften wir dort umsonst leben und an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. „Möchtest du ein Eis?“ war eine der ersten Fragen, die mir gestellt wurden, sobald ich durch die Tür kam. Wer kann da bei 28 Grad im Schatten widerstehen? Das typisch taiwanesische „Eis“ mit roten und grünen Bohnen, undefinierbarem Wackelpudding und Eiswürfeln schmeckte ganz furchtbar. Aber die Tatsache, dass die Familie bereits vor meiner Ankunft daran gedacht hatte, auch für mich etwas zu Essen mitzubringen, rührte mich so sehr, dass ich die Bohnenmatsche trotzdem lächelnd aufaß.

Abenteuer Innenstadt
Da meine Praktikantenkollegin noch am selben Abend Deutschunterricht geben sollte, wollte ich sie ins Stadtzentrum zur Sprachschule begleiten, um mich mit den Abläufen dort ein wenig vertraut zu machen. Mit einem Fahrrad und einer U-Bahn-Karte ausgestattet machten wir uns auf den Weg. Die erste Fahrt ins Stadtzentrum kam für mich einer kompletten Reizüberflutung gleich: Von überall hupte oder klingelte es, ständig kamen Autos aus dem Nichts hervorgeschossen, von den Wänden der Hochhäuser blinkte Werbung in grellen Farben und jeder Laden auf dem Weg zur U-Bahn-Station schien die anderen mit seiner Musik und den Angeboten über Lautsprecher übertrumpfen zu wollen. Selbst in der U-Bahn wurde man ständig darauf hingewiesen, wie man sich korrekt zu verhalten hatte, blinkende Leuchtstreifen markierten, wo man zu stehen hatte und Bildschirme versorgten den Fahrgast mit Informationen über das Geschehen in der Welt.

Auch außerhalb der U-Bahn-Schächte war viel los: Fast alles in Taiwan singt! Die Busse, die Müllabfuhr, jedes einzelne Geschäft: Jeder hat seine völlig eigene Melodie, um die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen. Fast jedes Mal, als ich später während meines Unterrichts an der Sprachschule die stickigen Räume lüften wollte, schloss ich die Fenster nach wenigen Minuten wieder, da es unmöglich war, konzentriert zu arbeiten. Zu dem gewöhnlichen Lärm kam nämlich immer die Müllabfuhr vorbei, die mit ihrem einprägsamen Singsang die Leute dazu aufforderte, den Müll auf die Straße zu bringen.

Was nicht singt, das glitzert: Halogenmarkierungen auf dem Boden, die vielen, blinkenden Reklamen der Betelnussstände, jede Brücke und sogar die Tempel sorgten dafür, dass es in der zweitgrößten Stadt Taiwans nie so richtig dunkel zu werden schien. Zum Glück gibt es in Kaohsiung mittlerweile viele Grünflächen, auf denen man dem Lärm und Trubel der Stadt entfliehen kann. So zum Beispiel der Lotussee, einer der größten Seen der Stadt, der sich in unmittelbarer Nähe zu unserer Wohnung befand. Das Ufer des Sees ist von unzähligen, aufwändig geschmückten Tempeln gesäumt, die zwei bekanntesten Pagoden, die Tiger und Drachen Pagoden sind sogar in den See gebaut und nur über Zickzack-Brücken zu erreichen, um die bösen Geister fernzuhalten.

Kleine Aufgaben, große Herausforderungen
Das „Europe Center“, in dem mein Praktikum stattfinden sollte, hatte sich im Internet sehr modern und professionell präsentiert – entsprechend überrascht war ich, als ich bei meinem ersten Besuch lediglich drei kahle Räume im fünften Stock eines maroden Gebäudes vorfand, die außer Telefon, Wasserspender und ein paar alten Landkarten nicht viel zu bieten hatten. Kurz vor meiner Ankunft hatte es einige Umstrukturierungen gegeben, daher war nicht nur die Innenausstattung der Sprachschule etwas chaotisch, sondern auch die anderen Mitarbeiter. Ich bekam ein Deutschbuch und zwei neugierige Schülerinnen, die ich auf das B2 Level bringen sollte – wie, das war mir überlassen. Außerdem bekamen wir in unregelmäßigen Abständen Texte zum Übersetzen oder Korrekturlesen zugeschickt, die wir von zu Hause aus bearbeiten sollten. Schnell pendelte sich ein sehr entspannter Alltag ein: Vormittags gab eine von uns Liam Deutschunterricht, nachmittags hatten wir frei und machten meistens Ausflüge mit dem Rad in die umliegenden Parks, an den Strand oder in die Stadt und abends gab jeweils eine von uns den Deutschkurs in der Sprachschule.
Das Beste? Das Essen!
Eines wurde sehr deutlich: Die Taiwanesen arbeiten hart. Aber abends, sobald es dunkel wird, beginnt für sie die Freizeit: Auf der Straße sind unglaublich viele Menschen, viele noch in ihren Schuluniformen oder in Arbeitskleidung, die durch die zahlreichen Läden wuseln oder an einem der vielen Essensstände mit ihren Freunden stehen und es sich schmecken lassen. Auf ihr Straßenessen, besonders auf xiao chi, also die kleinen Snacks, sind die Taiwanesen sehr stolz. Es scheint, als hätten sie sich aus den umliegenden Ländern das beste zusammengestellt, es auf ihre eigene Art verfeinert und bieten es nun auf der Straße oder auf einem der vielen Nachtmärkte für wenig Geld an. Man kann viele skurrile Dinge, wie zum Beispiel „Sargtoast“, aber auch gewöhnliche taiwanesische Snacks wie rote Bohnen-Waffeln, Teigtaschen oder „Stinke-Tofu“ probieren.

Noch viel besser als das ganze Essen haben mir die Getränke gefallen. An jeder Straßenecke steht ein Laden, der etwas Leckeres zu Trinken verkauft: Es gibt exotische Säfte, Teemixgetränke oder nai cha, der in Deutschland mittlerweile als Bubble Tea bekannt ist und in Taiwan erfunden wurde. Alles wird frisch gepresst, beziehungsweise aufgegossen, abgefüllt und dann mit einer eigens dafür vorgesehenen Maschine versiegelt.

Einzigartige Erlebnisse
Während meines Aufenthaltes gab es zwei besonders schöne Erlebnisse, an die ich mich immer wieder gerne erinnere: An einem Wochenende besuchte ich eine taiwanesische Freundin in ihrem Geburtsort Tainan, etwas nördlich von Kaohsiung. Ich hatte während meiner ganzen Zeit in Taiwan davon geträumt, Motorroller zu fahren, mich wegen des chaotischen Verkehrs aber nie getraut, selbst einen zu mieten. Als meine Freundin mir dann bei meiner Ankunft am Bahnhof einen Helm in die Hand drückte, war die Freude natürlich groß. Gemeinsam mit ihren Freunden erkundeten wir die Stadt auf Motorrollern, probierten an jedem Stand das Essen und spazierten auf alten Festungen herum.

Ein anderes großartiges Erlebnis war, als die Familie, bei der wir wohnten, uns mit in ihr Sommerhaus auf dem Land nahm, wo anlässlich des Frühlingsfestes ein riesiges Picknick veranstaltet wurde. Das Sommerhaus steht in einem kleinen Dorf außerhalb, in dem es außer einem wunderschönen See nur Reis und Blumenfelder gibt. Als wir durch die Felder fuhren, fiel mir auf, dass am Straßenrand ganz viele Autos parkten, viele der Leute ausgestiegen waren und durch die Felder liefen. Mir wurde erklärt, dass es in den großen Städten so wenige Blumen gäbe, dass das etwas ganz besonderes für die meisten sei. Und wirklich: Je näher wir heran kamen, desto deutlicher wurde, dass alle Kameras dabei hatten und wie wild zwischen den Blumen posierten.

Vieles, wie zum Beispiel das Bohneneis oder die überschwängliche Begeisterung für Blumen erschien mir zuerst etwas merkwürdig – doch bei genauerem Betrachten wurde mir klar, dass die Menschen dort sich zwar aus europäischer Sicht manchmal ein wenig sonderbar verhalten, aber unglaublich freundliche und hilfsbereite Menschen sind, deren faszinierendes Land auf jeden Fall eine Reise wert ist!

(Text: Josefine Schaefer)

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