Neu im Kino: Victoria

victoria-2„Victoria“ gehört wohl zu den deutschen Filmen, die im Vorfeld ihrer Veröffentlichung am meisten Aufsehen erregt haben. Und das hat weniger mit der Handlung oder der schauspielerischen Besetzung zu tun, sondern vor allem mit der Machart: Der Film wurde komplett als One Take gedreht.

Während der hervorragende „Birdman“ mit einem großartig aufgelegten Michael Keaton vor einigen Monaten noch sehr geschickt die Illusion aufrechterhielt, es käme nahezu ohne Schnitte aus, geht der Film von Regisseur Sebastian Schipper („Absolute Giganten“) noch einen Schritt weiter.

Rund 140 Minuten am Stück spielt die Geschichte um die junge Spanierin Victoria (Laia Costa), die morgens in einem Berliner Club vier Jungs kennenlernt. Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yigit) und Fuß (Max Mauff) sind beste Freunde und vor allem für Sonne empfindet Victoria trotz der Sprachbarriere – sie spricht kein Deutsch und die Kommunikation innerhalb der Gruppe verläuft in recht einfachem Englisch – besonders viel Sympathie. So lässt sie sich dazu überreden, noch mit ihnen um die Häuser zu ziehen – aus dem scheinbar harmlosen Vergnügen wird aber schnell gefährlicher Ernst. Denn da die vier Kumpels einem Verbrecherboss Geld schulden, sollen sie noch an diesem Morgen eine Bank überfallen. Und da der Fahrer kurzfristig ausgefallen ist, muss Victoria einspringen und das Fluchtauto fahren.

Erst scheint alles glatt zu gehen: Der Überfall gelingt, die Party danach ist exzessiv. Dann aber laufen sie der Polizei in die Arme. Es kommt zu einer Schießerei, nach der Sonne und Victoria plötzlich mitsamt der Beute auf sich allein gestellt sind. Während sich das Netz um sie immer enger zieht, bleibt ihnen nicht viel Zeit und Platz, um sich aus der Schusslinie zu bringen.

Drei Takes benötigte Sebastian Schipper, bis die finale Version von „Victoria“ letztlich im Kasten war. Das Problem eines One-Take-Films, wenn man es denn so nennen mag, liegt in der Natur der Sache begründet. Da die Handlung keine großen Ortswechsel zulässt – schließlich sollen Längen beim Wechsel zwischen den Orten vermieden werden – und sich Versprecher nicht einfach neu drehen lassen, müssen die Schauplätze in unmittelbarer Umgebung liegen und die Dialoge relativ simpel gehalten werden, damit die Schauspieler notfalls improvisieren können.

Das wirkt zu Beginn des Films noch etwas hakelig, sodass eine Filmsequenz relativ am Anfang sogar mit Musik überdeckt wird, vermutlich um den schwachen Dialog zu überdecken. Während sich die Spannung mit fortschreitender Filmlänge immer weiter steigert, wird auch die Darstellung der Charaktere immer intensiver und rückt derartige Probleme in den Hintergrund. Denn die extrem spannende zweite Filmhälfte ist die große Stärke des Films, während die erste Hälfte eher dazu dient, die Charaktere vorzustellen und die Handlungsweise von Victoria plausibel zu erklären.

Neben der glaubwürdigen Darstellung durch Frederick Lau ist aber gerade die spanische Nachwuchsschauspielerin Laia Costa die wirkliche Entdeckung des Films – und das nicht nur, weil ihr Filmcharakter gleichzeitig auch den Titel des Streifens stellt. Ihre Darstellung der leicht naiven Migrantin, deren Leben sich aufgrund ihrer Gutmütigkeit auf den Kopf stellt, ist nicht nur sehr sympathisch, sondern auch absolut authentisch. Ihre Filmkarriere hat sie zwar erst 2012 begonnen, in ihrer iberischen Heimat bekam sie in dieser Zeit schon jede Menge begeisterte Kritiken und letztes Jahr wurde ihr sogar der „Spotlight Breakthrough Acting Award“ beim Subtitle European Film Festival im irischen Kilkenny verliehen. Eine junge Darstellerin, die in Zukunft zu den Stars des neuen europäischen Films und wahrscheinlich auch darüber hinaus zählen dürfte – und mit „Victoria“ ein Filmkonzept, das trotz einiger Schwächen alles in allem gut funktioniert und damit einer der bemerkenswertesten deutschen Filme 2015.

D 2015, Regie: Sebastian Schipper, Kinostart: 11.06.2015

(Text: Steffen Rieger, Bild: Wild Bunch Germany)

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