Neu im Kino: Love & Mercy

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Heute gilt Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson als einer der grandiosesten Songwriter aller Zeiten und „Pet Sounds“ als eines der größten Pop-Meisterwerke. Die äußere Wahrnehmung der Person Wilson war allerdings nicht immer so ungetrübt: Jahrzehntelang bestimmten Drogen, Alkohol und psychische Krankheiten sein Leben und überschatteten so seine Leistungen als Songwriter der Beach Boys und auch als Solokünstler.

Folgerichtig ist „Love & Mercy“ auch keine Biographie über die Karriere der Beach Boys, sondern fokussiert sich auf die Entwicklung Brian Wilsons beginnend in den frühen 1960er-Jahren, als die Beach Boys mit Songs wie „Surfin‘ USA“ ihre ersten großen Erfolge feiern konnten, bis hin zur endgültigen Trennung von Dr. Eugene Landy Anfang der 1990er-Jahre, der Wilson jahrelang in beinahe gefängnisartigen Zuständen und unter Verabreichung extrem starker Medikamente unter Kontrolle hielt.

Der Film ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern wechselt immer wieder zwischen den Zeitebenen der 60er- und der 80er-Jahre. Dabei wird einerseits der junge Brian Wilson (großartig verkörpert von Paul Dano) gezeigt, der versucht, sich vom Einfluss seines autoritären Vaters und damit dem klassischen Beach-Boys-Sound zu lösen. Die Arbeit an „Pet Sounds“ treibt einen Keil zwischen ihn und seine Bandkollegen: Wilson will sich endlich als Songwriter verwirklichen und geht nicht mehr mit der Band auf Tour, bringt seine Kollegen aber wiederholt mit seinen Songentwürfen zur Weißglut, da sich diese immer weiter von dem entfernen, was die Beach Boys bekannt und erfolgreich gemacht hat.

Gleichzeitig verstärken sich Wilsons psychische Probleme zusehends und rufen immer öfter schizophrene Zustände hervor, wegen denen er sich nach und nach von seinen Mitmenschen zurück zieht und schließlich kaum noch aufnahmefähig für die Meinungen und Ideen seiner Bandkollegen zeigt. Den Beinahe-Todesstoß

Der Brian Wilson der späten 80er-Jahre (gespielt von John Cusack) andererseits ist ein emotional gebrochener Mann mittleren Alters, unfähig sein Leben selbstständig zu meistern und unter dauerhafter medizinischer Aufsicht durch Dr. Landy (ebenfalls grandios überzeugend: Paul Giamatti). Erst die junge Autoverkäuferin Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) schafft es, mit Wilson eine emotionale Bindung einzugehen, wird aber vom kontrollsüchtigen Arzt wiederholt daran gehindert, zu engen Kontakt aufzubauen. Schließlich eskaliert die Situation: Landy verweigert ihr nicht nur den Umgang mit Brian Wilson, sondern will diesen auch zu seinem eigenen Vorteil entmündigen lassen. Also macht Ledbetter sich daran, Wilsons Bruder Carl aufzufinden, um dem unseriösen Dr. Landy endgültig das Handwerk zu legen.

Für „Love & Mercy“ kehrte der Oscar-nominierte Produzent Bill Pohlad (2011 für „The Tree Of Life“) erstmals seit 25 Jahren hinter die Kameras zurück und übernahm die Regie. Neben der absolut überzeugenden Besetzung begeistert das Psychodrama auch durch die stilechte und detailverliebte Darstellung der 1960er-Jahre, die den Zuschauer ganz tief in das Leben und die Psyche Brian Wilsons eintauchen lässt und darüber hinaus mit den Songs der Beach Boys und kräftiger Mithilfe von Atticus Ross einen perfekten Soundtrack bietet. Die Geschichte der Beach Boys selbst sowie von Wilsons erster Ehefrau Marylin werden dabei lediglich am Rande thematisiert. Themen, die zwar zum grundsätzlichen Verständnis des Films nicht zwingend erforderlich sind, die aber doch das Verständnis für die Begleitumstände erhöhen – es ist also nicht von Nachteil, grob mit der Geschichte der Beach Boys und Brian Wilson vertraut zu sein, beträgt doch der Sprung zwischen dem jungen und dem älteren Brian Wilson rund 15 bis 20 Jahre. Die unterschiedliche Darstellung der Figur Brian Wilson sowie die fehlende Ähnlichkeit zwischen Paul Dano und John Cusack irritieren anfangs, bieten aber schlussendlich die Möglichkeit zweier in sich abgeschlossener Filmhälften mit ganz eigenen Herangehensweisen.

Ein überzeugendes Gesamtkunstwerk mit einem wahren Feel-Good-Moment am Ende: Brian Wilson und Melinda Ledbetter, die sich endlich wiedergefunden und ein gemeinsames Leben beginnen können. Und dazu läuft, wie passend, der Beach-Boys-Hit „Wouldn’t it be nice“, bevor der Abspann beginnt und den leibhaftigen Brian Wilson zeigt, der Live auf der Bühne den Titelsong „Love & Mercy“ spielt und damit nicht nur endgültig seine Vergangenheit verarbeitet, sondern nach über 40 Jahren endlich sein Soloalbum „Smile“ beendet hat. Absolutes Gänsehautfeeling.

USA 2015, Regie: Bill Pohlad, Kinostart: 11.06.2015

(Text: Steffen Rieger, Bild: Studiocanal)

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