Johannas China-Tagebuch Teil III: Shanghai & Expo 2010

Wie Pilze stachen sie dicht aneinander gedrängt vor uns aus dem Boden empor und streckten wolkenkratzend ihre Antennen in den Himmel. Lichter in den grellsten Farben blinkten uns entgegen und brachten die seicht plätschernden Wellen des Huangpu-Flusses zum Funkeln und mich zum Staunen – wir waren endlich in Shanghai!

Völlig übermüdet riss ich meine vom Schlafentzug gezeichneten Äuglein auf und versuchte gierig, so viel wie möglich von dem sich vor mir abspielenden Spektakel aufzunehmen. Noch realisierte ich nicht, was in den nächsten Tagen unserer letzten Etappe auf uns zukommen würde. Innerhalb von zwei Tagen wollten wir uns nicht nur die Stadt, sondern auch die Expo anschauen, für die man alleine eine Woche hätte in Anspruch nehmen können. Obendrein waren die Erkundigung des Nachtlebens und Shopping-Touren auf der To-Do- Liste. Und ja, etwas Schlaf zwischendurch wäre mir auch noch ganz recht gewesen. Doch als wir mit offenem Mund wie paralysiert vor der Skyline standen, erkannten wir, dass wir uns auf das Wesentliche beschränken mussten. Und Schlaf hatte da definitiv keinen Platz.

Nach der ersten Nacht, die wir noch mit kleinen Pionierfahrten im Taxi und weiteren unzähligen Momenten des Staunens verbrachten, wartete früh morgens unser Reisebus vor dem Hotel auf uns. Erste Station war der berühmte Jade Buddha, gefolgt von einem Ausflug in die Botanischen Gärten und unzähligen kleinen Souvenir- Käufen für die Daheimgebliebenen. Die Zeit verging wie im Flug, und ehe wir uns versahen, sprangen uns schon die aufwendig gefertigten Pavillons der Expo aus der Ferne entgegen, die von Nahem noch imposanter waren.

Expo 2010

Über 50 Länder waren auf der diesjährigen Expo vertreten, die sich ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen um den schönsten, mächtigsten und interessantesten Pavillon lieferten. Jeder schien Jeden übertrumpfen zu wollen und versuchte, sich deshalb von seiner besten Seite zu präsentieren, um damit ordentlich die Werbetrommel für sein Land zu rühren.

Das Resultat war erstaunlich: Würfelförmige Gebilde, die von netzartigen Stahlträgern in knalligen Farben umschlungen wurden, Scheiben und Sicheln, die ineinander verwindet zu einem architektonischen Meisterwerk geflochten waren, trapezförmige Riesensäulen, die durch Neonröhren separiert wurden, ein Wirrwarr aus verschiedenen Sprachen, Gerüchen, Geräuschen und mittendrin – wir. Eifrig zückten wir unsere Fotoapparate und knipsten wie wild um die Wette, während wir uns überfordert fragten, wo man bloß anfangen sollte. Doch die großen Warteschlangen machten uns die Entscheidung leicht.

Denn wenigstens am deutschen Pavillon konnten wir die wartenden Menschenmassen passieren und kamen durch den VIP-Eingang rein, da einem in jedem Pavillon als Staatsbürger des dort repräsentierten Landes das Betreten durch einen gesonderten Eingang ohne Anstehen gewährt wurde. Normalerweise ging das nur mit Vorzeigen des Reisepasses. Jedoch hatten wir schon aus Erzählungen gehört, dass in manchen Fällen eine Ausnahme gemacht wurde, wenn man die jeweilige Sprache des Landes beherrschte und einen überzeugenden Auftritt liefern konnte. Das mussten wir nach einer kurzen Weinprobe im chilenischen Pavillon natürlich gleich einmal ausprobieren.

Im Fall „Italien“ gelang uns das sogar mit den Worten „Pizza Quattro Stagioni, Pasta, Massimo Dutti“. Der chinesische Türsteher war schon nach diesen Schlagworten vom Vorhandensein unserer italienischen Gene überzeugt, wollte dies nur noch mal schnell bestätigt wissen („Are u Italian?“) und zeigte danach Richtung VIP-Eingang, woraufhin er von uns mit einem völlig fehlplatzierten „Ciao Bella“ verabschiedet wurde. Weniger Erfolg hatten wir dagegen beim russischen Pavillon, dessen Türsteher unser „Wodka Gorbatschow, wu wudje“-Gefasel wohl nicht authentisch genug war.

Mittlerweile wurde es spät, und so schlenderten wir Richtung Hafen, wo wir den Rückweg mit einer Fähre antraten, die uns einen Panoramablick auf die Wolkenkratzer Shanghais gewährte. Den Abend ließen wir in der „Barrouge“, einem Nachtclub auf dem Dach eines Hochhauses ausklingen. Unerwarteterweise verfügte dieser über einen Dancefloor, der zu einer großen Außenterrasse mit Blick auf die glitzernde Skyline überging. Kopfschüttelnd vor lauter Unfassbarkeit klebten unsere Blicke auf dem Lichtermeer, das sich vor uns ausbreitete, was sie wahrscheinlich immer noch würden, wenn der Türsteher uns nicht längst nachdem die Musik schon ausgegangen war, freundlich zum Gehen aufgefordert hätte.

Alles hat ein Ende

Auch in dieser Nacht wurde Schlaf zur Mangelware, und so wurde auf der Fahrt zur Volkswagen-Niederlassung in Shanghai mehr geschnarcht als geredet. Dort angekommen bekamen wir eine Führung, die leider etwas zu kurz gehalten wurde, aber uns trotzdem einen informativen Einblick in eines der weltweit führenden Joint-Venture Unternehmen gab.

Bevor es Abends zum Flughafen ging, hatte unser Schirmherr noch ein ganz besonderes Schmankerl vorbereitet. Wieder ging es hoch auf einen Wolkenkratzer. Diesmal in den 58. Stock des Ritz Carltons, wo sich eine der edelsten und exquisitesten Cocktailbars befand. Und erneut wurde der Ausblick des gestrigen Abends übertrumpft. Konnte das wahr sein? Ich traute meinen Augen kaum.

Eines stand fest: Mit Shanghai hatten wir definitiv ein anderes China kennen gelernt. Moderner, lebendiger und jünger. Ein westliches China, in dem Fortschritt groß geschrieben wurde, aber auch Platz für Traditionen blieb. Fasziniert blickte ich in die kühle Nacht hinaus und hatte Schwierigkeiten zu begreifen, was ich da sah. Vor mir erstreckte sich eine überwältigende Kulisse, die mir den Atem zu rauben drohte. Und obwohl ich dem Abschied traurig entgegen blickte stand ich da und grinste. Weil ich in diesem Moment begriff, dass dies zwar meine erste, aber bestimmt nicht meine letzte Reise nach China gewesen war.

(Johanna Meier ist eine 21-jährige Studentin, die ein von der FH Köln initiiertes Stipendium für eine Business Universität in China erhalten hat. Der vierwöchige Aufenthalt beinhaltete Reisen nach Peking und Shanghai, sowie die Teilnahme am „Summer-School“-Programm der Dongbei University of Finance and Economics in Dalian. Hier berichtet Sie nun für euch wöchentlich über Ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke, die sie während dieser Zeit gesammelt hat.)

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