Buchtipp: Violaine Huisman – Die Entflohene

au1_978-3-10-397391-4Eine klassische Mutter, wenn es denn so etwas überhaupt gibt, ist Catherine nicht. Sie flucht unentwegt, rast mit den Töchtern auf dem Rücksitz durch Paris, wechselt die Liebhaber fast so schnell wie die Designerkleider, raucht, trinkt und schluckt, was sie bekommen kann und lässt in regelmäßigen Abständen die Haustiere verschwinden. Wäre sie eine erdachte Figur, würde man der Maman als schrulliger, unangepasster Heldin huldigen. Aber Catherine hat es so wirklich gegeben und ihr Leben, aufgezeichnet von ihrer Tochter Violaine, ist gekennzeichnet von den Hochs und Tiefs der Bipolarität.

Untergliedert in drei Teile erzählt Huisman in ihrem Debütroman vom Leben und Sterben ihrer manisch-depressiven Mutter Catherine, einer Tänzerin, die erst un- und dann eingebildet die Herzen von Männern und Frauen bricht und doch nie wirklich befriedigt ist. Sie ist manchmal gefühlskalt gegenüber ihren Töchtern, hasst den leiblichen Vater und verachtet die eigene Mutter, gerät immer an die falschen Männer und lässt Claude, die Frau, die sie bedingungslos liebt, in ihren letzten Stunden allein. Wenn Catherine nicht unnahbar und unterkühlt ist, ist sie leidenschaftlich, voller Liebe und absurder Ideen, und weil sie unbeschreiblich schön ist, lässt man ihr alles durchgehen, bis der nächste Zusammenbruch naht.

Romantische Verklärung kann man Huisman nicht vorwerfen. Jedes noch so intime Detail aus dem Leben der Mutter (auch dem der Großmutter) wird erwähnt, Vergewaltigung, Abtreibung, ihre Privatsphäre wird seziert und es entsteht das Psychogram einer Frau, die nicht nur sich selbst entflieht, sondern auch für die anderen ungreifbar bleibt. Man leidet mit ihr, mit den Kindern, manchmal auch mit den Männern, es wird generell viel gelitten. Jedoch ist Die Entflohene kein Roman über die Krankheit an sich, da diese aber eine dermaßen zentrale Rolle im Leben der Mutter einnimmt, ist man zeitweise doch erstaunt, wie routiniert Catherines Umwelt ihre Eskapaden als charakterliche Macken abtut anstatt sie als Symptome eines tieferen Leidens zu erkennen, vor allem wenn man bedenkt, dass sie vergleichsweise früh richtig diagnostiziert wurde und sich 2009 das Leben nahm. Auch die repetitiven Anteile der Erzählung erschließen sich nicht, einige Ereignisse werden mehrfach erwähnt, womöglich um die Kohärenz zu wahren, allerdings hätte man hier die Struktur besser gliedern können. Letztendlich ist Die Entflohene weder Hommage noch Abrechnung, sondern viel mehr ein Rückblick mit emotionalem Sicherheitsabstand.

(Verlag: S. Fischer)

Autorin: Annette Schimmelpfennig

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