Buchtipp: Uwe Timm – Vogelweide

uwetimm1Uwe Timm schreibt einen Roman über die Macht des Begehrens und versucht, die große Frage zu ergründen, warum es in so vielen Ehen trotz bester und aufrichtigster Versprechen dennoch zur Trennung kommt.

Ein Thema, das im Klappentext Jung und Alt anzusprechen vermag. Umso befremdlicher wirkt es, dass Timm seinen Protagonisten auf die kleine Nordseeinsel Scharhörn zur Vogelschau schickt. Die entlegene Einöde scheint der beste Nährboden für das Begehren nicht zu sein. Außer Vögeln, Sand und einer Vogelwarte gibt es dort nicht viel – „Wie Robinson, aber mit Handy.“ Die Einsamkeit wird aber kurzerhand durchbrochen, als Anna sich auf der Insel ankündigt. „Vor sechs Jahren hatte er ihre Stimme zuletzt gehört“ und allmählich entfaltet sich retrospektiv ein fatales Beziehungsgeflecht zwischen dem beruflich auf Grundeis gelaufenen Christian, seiner Frau Selma und der Kunstlehrerin Anna mit ihrem Mann Ewald. Eine Konstellation, die in zahlreichen Erzählungen von Goethes „Wahlverwandtschaften“ bis Dresens „Halbe Treppe“ bereits durchgesponnen wurde.

Doch so richtig in Fahrt will „Vogelweide“ auch nach der Ankunft der damaligen Geliebten Anna nicht kommen. Timm versteht es zwar, die Geschichten aus der Perspektive des besonnenen Emeriten zu entwickeln und mit gesellschaftlichen und philosophischen Reflexionen zu garnieren. Doch gelingt es ihm diesmal nicht, das Personal der Berliner Mittelschicht überzeugend darzustellen und mit Leben zu füllen, wie er es noch in seinem großartigen Roman „Rot“ getan hat. Der Autor scheint sich diesmal weniger für sein Personal, als für ein hölzernes intertextuelles Gerüst zu interessieren. So widmet sich Timm lieber seitenweise der Geschichte von Jona und dem Wal, der Polarexpedition Shackletons und dem „merkwürdigsten aller Schnepfenvögel“ aus „Brehms Tierleben“: dem Kampfläufer, anstatt mit „Vogelweide“ eine originelle Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben.

(erschinenen bei Kiepenheuer & Witsch)

(Text: Maximilian Burk)

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