Buchtipp: Siri Hustvedt – Damals

U1_978-3-498-03041-4.indd„Minnesota“, „S.H.“, nein, es ist wirklich nicht schwer zu erahnen, wer in Siri Hustvedts neuestem Roman auf ihr Leben zurückblickt. Dabei ist Damals keine hundertprozentige Autobiographie, etwas (Auto-)Fiktion schwingt immer mit, wenn vom Leben zwischen Intellektuellen und Künstlern in der pulsierenden Metropole und dem starken Kontrast zur ruralen Herkunft berichtet wird. Das Konzept ist nicht neu, man kennt es unter anderem von Hustvedts Ehemann, der, so hört man, auch ein bekannter Schriftsteller sein soll. Bei ihr funktioniert der Wechsel zwischen echt und erdacht, vergangen und verblieben allerdings mit einer solchen Leichtigkeit, dass man irgendwann den Aufdruck „Roman“ auf dem Cover für eine falsche Fährte hält. Mit Recht. Jedoch lässt man sich selten von jemandem so gerne hinter das literarische Licht führen, wie von Siri Hustvedt.

Damals eröffnet drei verschiedene Erzählebenen. Auf der ersten erzählt „Minnesota“, nun Anfang Sechzig, von ihrer Kindheit auf dem Lande und ihrer Zeit im New York der 70er Jahre. Die zweite ist geprägt von den Tagebucheinträgen der dreiundzwanzigjährigen Minnesota, welche immer mit ihren Initialen „S.H.“ schließen und die sich ausführlich mit allen möglichen und unmöglichen Männerbekanntschaften und ihrer ominösen Nachbarin Lucy beschäftigen. Die dritte Ebene ist schließlich der Roman im Roman, die Detektivgeschichte, die die junge Minnesota schreibt und für die sie letztendlich nach New York gegangen ist. Dies geschieht immer mit dem Hustvedt so eigenem subtilen Humor, etwas Melancholie, aber auch Distanzlosigkeit.

Gerade diese Distanzlosigkeit ist es aber, die einen so sehr in den Bann zieht. Wenn Hustvedt einen als „liebe Leserin“, „Partnerin“ und „Reisegefährtin“ bezeichnet, dann wirkt das erstaunlicherweise nicht gekünstelt, im Gegenteil. Hustvedt versteht es wie kaum eine andere dem Fiktiven Authentizität zu verleihen. Der Roman liest sich wie ein Gespräch mit einer alten Freundin, die man lange nicht gesehen hat und die einen dazu einlädt, bei einem guten Glas Wein mit ihr in Erinnerungen zu schwelgen, aber auch die düsteren Momente Revue passieren zu lassen. Es gibt eine bedrückende Schlüsselszene, in der Minnesota nur knapp einer Vergewaltigung entgeht und sowohl die Schilderung der jungen Minnesota, als auch die Reflektion der nun älteren S.H. zeigen eindrucksvoll, wie sehr die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst. Etwas seltsam ist es deshalb, dass man in der deutschen Version auf das schlichte Damals setzt anstatt den Originaltitel Memories of the Future zu übersetzen, denn letztendlich geht es hier nicht nur um das bereits Geschehene, sondern auch um all das was da noch kommen mag. Und hoffentlich auch noch kommen wird.

(Verlag: Rowohlt)

Autorin: Annette Schimmelpfennig

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