Buchtipp: Paul Auster – 4 3 2 1

U1_978-3-498-00097-4.inddEin Leben, vier Versionen. In Paul Austers erstem großen Roman nach sieben Jahren steht eine Frage im Mittelpunkt: Was wäre wenn? Was, wenn wir reich anstatt arm wären, Menschen mal früher und mal später sterben würden und die große Liebe mal fürs Leben und mal vergönnt ist? In 4 3 2 1 spielt Auster dieses Gedankenspiel durch, und dies auf über 1200 (!) Seiten, von denen keine einzige überflüssig ist. Ob als zeitgeschichtliche Momentaufnahme, Familiensaga oder autobiographischer Roman, wie auch immer man dieses Mammutprojekt lesen möchte, langweilig wird es nie.

Im Zentrum des Geschehens steht Archibald „Archie“ Ferguson, Sohn russischer, jüdischer Einwanderer, der im Newark der 50er bis 70er Jahre zu einem jungen Mann heranwächst. Archie hat eine illustre Verwandschaft, entdeckt sein Herz für Baseball und verliebt sich mal mehr, mal weniger glücklich in Amy Schneidermann, die er immer wieder auf andere Weise trifft und die einmal sogar mit ihm verwandt ist. Manchmal wird Archie Autor und geht nach Paris, ein anderes Mal überlebt er einen Unfall auf den Straßen Londons nicht. So unterschiedlich wie Archies Leben sind auch die seiner Familie, die immer eine wichtige Rolle spielt, egal was mit Archie passiert.

4 3 2 1 ist ein Roman, der sehr davon lebt, dass man im Vorfeld gar nicht so viel über ihn weiß, sondern sich einfach in die Geschichte fallen lässt. Obwohl immer wieder Archie im Fokus der Handlung ist, hat man es nie mit dem gleichen Charakter zutun, denn jede noch so kleine Entscheidung verändert auch den Archie, von dem wir denken, das wir ihn kennen. Wer mit Austers Romanen vertraut ist, der weiß, welche entscheidende Komponente der Zufall in seinen Erzählungen ist und auch hier wird einem schnell klar, dass Archies Leben weniger von ihm selbst bestimmt ist, als er das gerne hätte.

Zwar ist Austers Erzählweise auch hier wieder sehr detailliert, was aber nicht stört, denn gerade dadurch wird hier Archies Mikrokosmos kreiiert, der zwar immer ähnlich, aber nie gleich ist. Die Vermischung von Fiktion und autobiographischem Hintergrund (z.B. Austers Jugend in Newark, seine Vorliebe für Baseball und seine Zeit in Paris) ist gelungen, weil sie sich nicht aufdrängt. Man muss sich weder für Auster generell, noch die 50er und 60er interessieren, um Freude (und teilweise auch mitleidigen Anteil) an Archies Leben haben zu können. Und selbst wenn es Archie manchmal mit voller Härte trifft, so schafft Auster es mit einer gehörigen Portion Humor dennoch, dass einem beim Lesen Lust und Lächeln nicht vergehen. 4 3 2 1 ist ein in jeder Hinsicht großer Roman, der einen auch wenn man dann mal fertig ist, noch lange beschäftigt.

(Text: Annette Schimmelpfennig, Verlag: Rowohlt)

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