Buchtipp: Jeffrey Eugenides – Die Liebeshandlung

Das Bücherregal kann entscheidend sein. Einmal den Blick darauf geworfen, lässt sich ein schnelles Urteil kaum vermeiden. Dan Brown, Ken Follett, Simon Beckett = Langweilig. Arno Schmidt, Uwe Johnson, Peter Handke = Verkopft. Friedrich Dürrenmatt, Heinrich Böll, Bernhard Schlink = Deutschunterricht.

Die Meinung des Erzählers zu Beginn von Die Liebeshandlung über die Bücherauswahl Madeleine Hannas ist programmatisch. Henry James, Jane Austen, George Eliot, Colette = unheilbar romantisch. Madeleine studiert Literaturwissenschaften an einem amerikanischen College in den 80er Jahren. Die französischen Poststrukturalisten sind angesagt, aber sie schreibt ihre Jahresarbeit über den marriage plot, einem Strukturelement des viktorianischen Romans des 19. Jahrhunderts. In einem Semiotek-Seminar lernt sie Leonard kennen. Er wirkt auf sie irritierend anziehend, trägt unpassende Bandanas, kaut Tabak und wird nach einem Fellini-Film ihr neuer Freund. Mitchell dagegen würde viel besser zu ihr passen, aber ihm bleibt bloß die Rolle des guten Freundes, obwohl er selbst kompromisslos in Madeleine verliebt ist. So die Ausgangssituation.

Über die 621 Seiten des Romans lässt Jeffrey Eugenides diese drei Hauptfiguren verunsichert, desillusioniert und eben doch hoffnungslos romantisch die eigene Suche nach der großen Liebe bestreiten. Für Madeleine stellt sich das Leben mit Leonard schwerer heraus, als zunächst gedacht. Und Mitchell begibt sich nach dem College-Abschluss auf einen religiösen Selbstfindungstrip durch Europa und Indien, schafft es aber noch nicht mal, in einer Krankenstation in Kalkutta Madeleine zu vergessen.

Zeitweise vermisst man da die erzählerische Breite, die Eugenides zweiten Roman Middlesex so stark gemacht hat. Zwar gibt es ein anderes großes Thema, das mit Leonards Krankheit zu tun hat, und US-amerikanische Kritiker dazu veranlasste, in Die Liebeshandlung einen Schlüsselroman über den verstorbenen Schriftsteller David Foster Wallace zu sehen, aber auch dieser Erzählstrang ist auf die Beziehungsfähigkeit Leonards reduziert. Beim Lesen vergisst man diese Schwächen allerdings gerne, so kurzweilig und stilistisch gradlinig ist das Buch geschrieben. Und so stellt man es sich nach der Lektüre mit Freude ins eigene Bücherregal, egal in welche Schublade man damit rutschen sollte.

(Rowohlt, Text: Albert Henrichs)

 

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