Buchtipp: Ian McGuire – Nordwasser

b_fj18_nordwasser_mcguire_hMit Beginn der industriellen Revolution ergab sich schnell die Frage, was man denn mit dem betrunkenen Seemann machen soll: Waltran wurde vermehrt durch Petroleum ersetzt und auch in der Kosmetikbranche wurden Alternativen zum Walfett immer populärer. Auch der Abenteuer-, oder genauer gesagt, der Seefahrtsroman kommt nach und nach aus der Mode, weil er nicht mehr die Realität der Menschen wiederspiegelt. Zum Glück gibt es aber immer mal wieder Autoren wie Ian McGuire, die mit ihren Romanen auch heute noch das Seemansgarn spinnen.

England, Mitte des 19. Jahrhunderts, die Walfangindustrie geht langsam ihrem Ende entgegen, zuverlässige Arbeit für Seemänner wird immer seltener. Der gewalttätige Harpunier Drax geht mit der Volunteer unter Leitung von Kapitän Brownlee, der gerade erst ein Schiff während der Überfahrt verloren hat, auf eine sechsmonatige Expedition Richtung Grönland. Ebenfalls an Bord ist Patrick Sumner, ein Kriegsveteran, Opium-Süchtiger und gelernter Chirurg. Noch bevor das Schiff ablegt, hat Drax einen Mann getötet und einen Jungen missbraucht. Doch auch als das Schiff den Hafen verlassen hat und der erste Wal erlegt ist, hört das Morden nicht auf. Aber nicht nur wegen Drax ist die Expedition dem Untergang geweiht…

Man kann McGuires Roman mit vielen Größen der Literaturgeschichte vergleichen, und ja, man erkennt Spuren von Melville, Conrad und McCarthy in seinem Stil. Seine Sprache ist zudem dermaßen bildgewaltig, dass einige Szenen von ihrer brutalen Ästhetik an The Revenant erinnern (Verfolgungsjagd in der rauen Natur, Bären, „Übernachtung“ im ausgehölten Tierkadaver) und doch ist Nordwasser etwas ganz eigenes, besonderes, was vor allem an den authentischen Charakteren liegt. Ein spannender Roman für die letzten Wintertage, der zwar nichts für zartbesaitete Leichtmatrosen ist, aber gerade deshalb bis zum Schluss zu begeistern weiß.

Verlag: Mare

(Text: Annette Schimmelpfennig)

Kommentare sind geschlossen.