Buchtipp: Bruno Latour – Existenzweisen

58607Bruno Latours „schlafender Gendarm“ ist in den Geisteswissenschaften das, was der Song „Barbie Girl“ der Band Aqua Ende der Neunziger war: ein Hit. Eine Straßenschwelle auf einem Campus bringt Autofahrer zum Abbremsen, da sie ihre Stoßdämpfer schonen wollen. Dieser in Beton gegossene „schlafende Gendarm“ reguliert somit das Tempo auf dem Campus, Tag und Nacht. Ein Handlungsprogramm wurde vom Menschen an ein Ding delegiert (Latour-Sprech). Die Straßenschwelle als handelnder Akteur steht mit dem Menschen in einem netzwerkartigen Handlungszusammenhang: Latours Akteur-Netzwerk-Theorie in a nutshell.

Anders als bei Aqua mit „Barbie Girl“, handelt es sich bei Bruno Latour nicht um ein One-Hit-Wonder. Der Mann macht weiter. Vor zwanzig Jahren konstatierte der französische Soziologe und Philosoph: „Wir sind nie modern gewesen“ und versuchte sich an einer „systematischen Anthropologie“ jenseits der Trennung von Natur und Kultur. Nun legt er mit Existenzweisen ein Werk vor, das dieses faszinierende Projekt fortschreibt und den verschiedenen Existenzweisen von Wissenschaft, Technologie, Recht, Religion, Wirtschaft, Kunst und Politik in der modernen Welt nachspürt.

„Warum klein, wenn es auch groß geht?“ heißt es treffend in dieser „Anthropologie der Moderne“. Beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses kann dem ein oder anderen schnell schwindelig werden. Drei Aspekte, die das 650-Seiten-Konvulut als halbwegs verdaulich rüberkommen lassen. Erstens: Gustav Roßler hat es geschafft, Bruno Latour aus dem Französischen in ein klares und verständliches Deutsch zu übersetzen. Zweitens: Jedem Kapitel geht eine konzise Inhaltsangabe voran. Last, but not least: Latour will verstanden werden! Zahlreiche Beispiele und Gedankenspiele helfen dem Leser, Latours Projekt nachvollziehbar zu machen.

Für Bruno Latour geht es mit Existenzweisen tatsächlich um Alles, namentlich um die Zukunft unseres Planeten. Der Zusammenhang ist größer als sein Buch, weshalb die Debatte zusätzlich im Netz auf modesofexistence.org weitergeführt und das Werk durch die Diskussion fortgeschrieben wird.

(Text: Maximilian Burk, Verlag: Suhrkamp)

Kommentare sind geschlossen.