Der Tag, den Alexander Kluge zum Zentrum seines neuen Buches macht, ist der letzte ausgeübte Werktag des Deutschen Reiches: der Tag, an dem Hitler sich erschoss. Von Hitlers Suizid haben am 30. April 1945 die wenigsten Deutschen etwas mitbekommen – und doch stehen alle Handlungen an diesem Tag im Kontext des verlorenen Krieges. Alexander Kluge erzählt von den zahlreichen Ereignissen an diesem Tag: Episodenhaft und kollageartig stehen sie alle nebeneinander. Es sind Fragmente von Lebensläufen, die Kluge schon in seinen früheren Büchern beschäftigt.
Kluges Geschichten sind realistische Kurzerzählungen, hyperrealistisch könnte man sagen und doch sind sie fiktiv – was Kluge erzählt, kann er unmöglich recherchiert haben. Und doch fehlt dem Buch die Kennzeichnung „Roman“. In 13 Kapiteln ordnen sie die Kapitel in Themenkomplexe unter, wie beispielweise das Kapitel „In einem anderen Land“, das Ereignisse in der Schweiz zum Inhalt hat. Sechs dieser Kapitel hat der Schriftsteller Reinhard Jirgl verfasst – Alexander Kluge setzt in seiner Kunst immer auf eine Form des Dialogs. Und so stellen die versammelten Geschichten eine Form der dezentrierten Geschichtsschreibung dar: Was Kluge interessiert, passiert nicht allein im Bunker unter der Reichskanzlei, sondern vielmehr auf dem ganzen Erdball verteilt. Gleichzeitig.
Alexander Kluges Beobachtungen zeigen ein breites Panorama dieses schicksalhaften Tags. Er versetzt sich als Schriftsteller des 21. Jahrhunderts in das Wissen seiner zahlreichen Protagonisten am 30. April 1945 mit viel Liebe zum Detail hinein. Die Entscheidungen, die an diesem Tage in Kluges entworfenem Deutschland getroffen werden, sind dennoch unbegreiflich. Man liest die teils sehr kurzen Geschichten und ist ergriffen von einer Zeit, die gerade einmal 69 Jahre in der Vergangenheit liegt, eine Ära, die am 30. April 1945 ihr Ende fand.
(Text: Maximilian Burk, Verlag: Suhrkamp)