Björk – Biophilia

Das ist längst nicht mehr das komische, verschüchterte Mädchen aus dem Wald, halb zerbrechlich, halb machtvolle Amazone, die mit merkwürdigem Gesang aufhorchen lässt. Björk wurde mit den Jahren mehr und mehr selbst zum Kunstwerk, dessen Musik bisweilen nur noch den Rahmen zu liefern schien. Faszinierendes Spiel bei Dogma-Mann von Trier, Meilensteine der Clip-Geschichte mit „All Is Full Of Love“, „It’s Oh So Quiet“ oder „Army Of Me“, Kunst als Spielwiese für Experimente. Nun heißt ihr neuster Wurf „Biophilia“, und dieses Album darf getrost als Vogel-Abschuss-Werk betrachtet werden. Kleckern mag sie ja seit Jahren nicht mehr, hier wird sogar gehörigst geklotzt.

Das spacig anmutende Cover lässt keinen Zweifel über die Schwere über, ist aber fast schon redundant: „Biophilia“ ist bereits seit Juli zu haben, nicht als klassischer Tonträger, sondern als – was auch sonst – App. iPhonisten wussten also schon früher bescheid, jeder der zehn Songs ist als eigene App abrufbar, es gibt die Noten zu lesen, ihre Visualisierung und sogar eine Analyse für die Musikwissenschaftler unter uns. Tierfilmer Sir David Attenborough fungiert als Moderator, und ach, es gibt soviel. Puristen (zu denen wir uns zählen) gucken leicht verstört, vielleicht auch angesäuert – waren Telefone früher nicht zum Telefonieren da? Und bevor wir aus technischer Unwissenheit etwas Falsches sagen, widmen wir uns der Musik, bei welcher derlei Gefahr jedoch auch überall lauert. Björk will keine kargen Lovesongs darbieten, sie erklärt uns nicht weniger als das Leben, die Welt und das Universum.

Ihr Sound oszilliert zwischen Zen-Garten und Baustelle, das gute Leise-Laut-Schema treibt sie hoch bis zum Gipfel, wenn wir unter den vielen Instrument-Kreationen Maschinengewehre oder schlecht gelaunte Presslufthammer vermuten. Den klassischen Pop-Song hat sie nicht auf der Agenda, aber das ist auch keine Sensation mehr heutzutage. Die Isländerin zeigt neuartige Vermarktungskanäle auf und findet nebenbei ihre eigene Symbiose aus Kunst und Wissenschaft. „Ambitioniertes Konzeptalbum“ werden es die Schreiberlinge überall nennen. Hier auch.
Genre: Experimental-Pop, Label: Polydor (Universal)

(Text: Frank Schwalm)

 

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