1LIVE-Kult-Talker Jürgen Domian im Interview

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Millionen Ohren und Augen richten sich montags bis freitags ab 1 Uhr auf 1LIVE-Moderator Jürgen Domian, wenn er Anrufe der skurrilen, dramatischen bis hin zur perversen Art entgegennimmt. SLIK-Gastautorin Swetlana Schwarz wiedrum richtete ihre Fragen an den Seelsorger und Lebensberater der Nation und entlockte ihm das ein oder andere Anekdötchen.

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Was ist dein Lieblingsort in Köln?

Die Poller Wiesen. Der Blick von dort auf den Rheinauhafen und die Altstadt ist einfach spektakulär. Ich bin wirklich sehr gerne dort. Auch am Abend.

Und was findest du an Köln eher schrecklich?

Die Architektur. In der Nachkriegszeit ist unglaublich viel verschandelt worden. Mir blutet das Herz, wenn ich alte Bilder von Köln sehe. Was für eine traumhaft schöne Stadt das war! Warum zum Beispiel hat man damals die kaum beschädigte alte Oper am Rudolfplatz abgerissen? Stattdessen steht dort nun ein urhässlicher Klotz, heute ein Hotel. Die Nordsüdfahrt ist eine Todsünde. Die Ringe sind ein Trauerspiel. Und kürzlich hatte Köln die historische Chance, sich von der tristen Nachkriegsoper, dem Riphahn-Bau zu verabschieden, und was macht die Stadt? Sie lässt das Ding renovieren. Übrigens fällt mir auch auf, dass die Stadt immer öfter allen möglichen Mist unter Denkmalschutz stellt. Die kleinen potthässlichen Läden an der Hahnenstrasse zum Beispiel, das Theater-Ensembel am Rudolfplatz, und dieses Jahr war sogar der 80er-Jahre-Betonklotz der FH in Deutz dafür im Gespräch. Da kann man sich doch nur an den Kopf fassen. Dafür aber hat Köln wunderbare innere Werte. Es ist für mich die liebenswerteste Stadt Deutschlands. In keiner Stadt, außer Berlin, geht es so ungezwungen und tolerant zu wie bei uns. Jeder Jeck ist anders. Gibt es ein schöneres Lebensmotto?

Bist du denn Urkölner?

Nein, ich wurde leider in Gummersbach geboren. Ich sage ‚leider’, weil ich keinerlei heimatliche Gefühle mit dieser Stadt verbinde. Das liegt daran, dass ich aus einer Vertriebenenfamilie stamme. Meine Eltern hat es nach dem Krieg dorthin verschlagen. Ein anderer Teil der Familie lebt in Berlin. Daher habe ich eine starke Verbindung zu Berlin. Berlin ist neben Köln meine zweite große Städte-Liebe.

Du bist dann zum Studium nach Köln gekommen, richtig?

Genau, zum Studium kam ich gemeinsam mit Hella von Sinnen nach Köln. Wir haben in Gummersbach zusammen Abitur gemacht. Mit ihr habe ich bis heute Kontakt.

Wenn du an deine Studienzeit zurückdenkst, wie war das so?

Ach, es war neutral. Man musste es eben machen, und für mich war die Zeit stark geprägt von der Frage: Was machst du danach? Ich hab Germanistik, Philosophie und Politik studiert. Klar war mir nur, dass ich nicht Lehrer werden wollte. Für die Fächerkombination hatte ich mich aus rein privatem Interesse entschieden. Ich verband damit keinen Berufswunsch. Und dann ergab sich zufällig, dass ich beim WDR einen Studentenjob als Kabelträger bekam. Und da habe ich Blut geleckt.

War dir da auch schon klar, dass du mal vor der Kamera stehen möchtest?

Zuerst wollte ich eher hinter die Kamera, Richtung Fernsehregie. Ich habe auch eine Regieassistenz beim WDR gemacht, aber dann zog es mich doch vor die Kamera bzw. zunächst vors Mikrophon, also bin ich erstmal zum Radio gegangen. Was zudem auch eine gute Erfahrung war: Ich habe während des Studiums angefangen, in Cafés in der Kölner Südstadt kleine Talkshows zu produzieren und zu moderieren. Man kann sich das ja heutzutage kaum vorstellen, aber es gab damals im deutschen Fernsehen nur zwei Talkshows. Also war das eine Sensation, so was in der Stadt vor Publikum zu veranstalten. Durch meinen Kabelträgerjob kam ich mit vielen Prominenten in Kontakt. Die habe ich einfach gefragt, ob sie nicht mal zu mir in meine Talkshow kommen wollen. Und tatsächlich kamen sehr viele. Zu den Promis habe ich dann immer einen jungen, talentierten Künstler eingeladen und zusammen haben wir getalkt.

Wie hast du die denn überzeugen können? Immerhin warst du ja „nur“ der Kabelträger…

Ich glaube, es war ein bisschen der jugendlicher Charme und eben auch das Konzept: Dass man so einen jungen Künstler fördern konnte. Ich konnte den Prominenten ja auch keine Gage anbieten, auch kein Hotel bezahlen. Wenn dann aber welche von außerhalb nach Köln kamen, weil sie zum Beispiel beim WDR oder im Schauspielhaus etwas zu tun hatten, dann haben die ihren Auftritt in meiner Talkshow oft einfach noch drangehängt. Und es waren wirklich sehr prominente Menschen, die zu mir gekommen sind: Jürgen von der Lippe, Elke Heidenreich, Alfred Biolek, die damals sehr bekannte Tagesschausprecherin Dagmar Berghoff. Dann hatte ich als jungen Künstler einmal Thomas Anders zu Gast – den kannte zu diesem Zeitpunkt kaum jemand. Modern Talking kam erst viel später. Dirk Bach hab ich kombiniert mit Günther Lamprecht. Sagt euch Günther Lamprecht noch was? Eine der ganz großen Schauspielikonen der siebziger und achtziger Jahre. Also das war damals schon sehr spektakulär, dass der große Günther Lamprecht in ein kleines Café zum Talken kam. Diese Erfahrung mit der Talkshow hat mir dann auch gezeigt: In diese Richtung musst du mal gehen.

Und was war der Sinn der Show, was passierte da?

Na, es war halt Talk, aber auch Performance. Es wurde gesungen, Klavier gespielt oder ein Sketch aufgeführt. Alles aber ohne Radio und Fernsehen. Ich war halt im „Hauptberuf“ Kabelträger, mehr nicht.

Also du hast das nicht irgendwie aufgezeichnet damals?

Nein, wie denn? Da saßen ca. 30 oder 40 Leute und das war es. Die Sache professionell aufzuzeichnen hätte viel zu viel Geld gekostet.

Wenn wir schon mal beim Stichwort Café sind, gingst du denn als Student auch gern aus?

Ich würd sagen, das war Mittelmaß, also nicht exzessiv. Man hat halt so mitgemacht, ist mitgelaufen. Aber was völlig irre ist: Es gab damals, als ich studiert habe, kein Café im Radius der Uni. Das einzige war das Café Fleur auf der Lindenstraße. Die anderen kamen erst Jahre später.

Und wie sieht’s bei dir heutzutage mit Feiern aus?

Das passiert eher im privaten Bereich, mit Freunden. Ich gehe nicht mehr so gerne aus, das liegt sicherlich auch am Alter. Hinzu kommt, dass mein Job sehr anstrengend ist: Ich bin in der Woche jede Nacht auf Sendung, da bleibt wenig Freiraum. Und den nutze ich meistens, mich mit Freunden zu treffen. Mein Leben ist sehr eng getackert.

Feierst du denn Weihnachten so richtig oder bist du eher der Anti-Weihnachten-Typ?

Das ist eine komplizierte Frage, denn ich bin ja kein Christ mehr. Und als sentimentale Familien-Feier interessiert mich Weihnachten nicht. Aber ich verbinde mit Weihnachten eine Zeit der Stille, auch eine gewisse Spiritualität. Insofern ist die Weihnachtszeit jedes Jahr wichtig für mich. Oft gehe ich auch am Heiligen Abend um Mitternacht in den Dom. Das finde ich großartig dort. Die Orgel, die Chöre, die Liturgie. Ich glaube, all das bewegt selbst den härtesten Atheisten. Wenn Kardinal Meissner dann aber zu predigen beginnt, gehe ich raus. Das tue ich mir nicht an.

Hm, na gut, also kein Weihnachtskitsch bei dir daheim. Dann eine ganz andere Frage: Wenn du eine Märchenfigur wärst, welche wäre es? Oder welche würde zu dir passen und warum?

Ach, irgend so ein guter König.

Echt, ein guter? Ist doch langweilig.

Keineswegs, nicht nur das Böse ist interessant. Da mir fällt gerade ein, ich habe neulich zum dreihundertsten Mal „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ gesehen. Ich wäre gerne der Prinz in diesem Märchen. Ich hätte eine wunderschöne Prinzessin und könnte durch traumhafte Schneelandschaften reiten.

Hast du also einen Hang zu kälteren Gebieten?

Ja, auf jeden Fall, ich bin oft in Skandinavien, ich liebe Lappland. Ich glaube grundsätzlich, dass ich eine Nord-Ost-Mentalität habe. Das liegt sicher an meinen Wurzeln. Mich zieht es immer noch Norden oder Osten. Ich mag auch die Literatur aus diesen Ländern sehr gerne. Ich greife lieber zu Dostojewski als zu Flaubert oder Balzac. Bei der klassischen Musik ist die Ausrichtung genauso. Ich liebe insgesamt das Schwermütige, das Dramatische, das dem Osten anhaftet.

Warst du auch schon mal in Russland?

Ja, zwei Mal, aber noch zu Sowjet-Zeiten. Übrigens hatte ich mein Erweckungserlebnis in Sachen klassischen Musik mit Peter Tschaikowsky. Da war ich 18 Jahre alt, saß mit meiner Freundin Hella von Sinnen, die damals noch Hella Kemper hieß, im Gummersbacher Bühnenhaus und hörte Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1. Das war ein ungeheuerliches Erlebnis für mich.

Bist du eigentlich eitel?

Naja, du fragst natürlich jemanden, der sein Gesicht seit 4000 Stunden in eine Kamera hält. Wenn man in solchen Jobs arbeitet, ist man immer eitel. Und man muss auch eitel sein, sonst kann man gar nicht vor einer Kamera oder einem Publikum bestehen. Ich finde, man muss sich nur immer darüber bewusst sein, woher die Eitelkeit kommt und ihr Grenzen setzen, sonst degeneriert man. Ich hab in meiner beruflichen Laufbahn so viele, teilweise auch sehr prominente Menschen erlebt, bei denen es wirklich grauselig wurde, weil sie ihren Narzissmus nicht in Schranken gewiesen haben. Natürlich ist es schön, beklatscht und von vielen bejubelt zu werden, aber man muss dabei immer geerdet bleiben. Ein Mensch wird nicht dadurch groß, dass er beklatscht und hofiert wird. Das sind alles Äußerlichkeiten und haben wenig Wert. Die stillen Dinge machen einen Mensch groß.

Dann verrate uns mal still und heimlich: Was war das Schlimmste, was du je öffentlich getan hast?

Naja, vor vielen Jahren habe ich mal in einer Liveshow auf Pro7 die Moderatorin Ulla Kock am Brink mitten im Talk verführt, mit mir ein Pfeifchen Haschisch zu rauchen, zumindest ein paar Züge zu nehmen. Sie hat mitgemacht und wir hatten eine Klage am Hals. Aber alles war natürlich nur Satire. Übrigens kam dann auch noch Guido Westerwelle ins Studio und dem haben wir das Pfeifchen auch angeboten. Aber er hat abgelehnt.

Zurück zu deinem Job bzw. deiner Sendung: Zieht dich die Arbeit nicht manchmal runter?

Nein, es zieht mich keinesfalls runter, aber mein Menschenbild hat sich verschlechtert. Ich habe in den 18 Jahren in derartige Abgründe geschaut, niemals hätte ich mir das vorher so vorstellen können. Es sind die Gespräch mit Gewaltopfern und eben auch mit Tätern die mir gezeigt haben, was Menschen Menschen antun können. Und das ist erschütternd. Andererseits begegnen mir in der Sendung auch ganz großartige Menschen, die tapfer, selbstlos, mutig und so vorbildlich sind. Sie wiegen das Finstere für mich wieder auf. Ich habe in den Jahren gelernt, dass der Mensch eben so ist, wie er ist. Das muss man akzeptieren.

Wieviel Prozent der Anrufer sind eigentlich Fake?

Es rutsch immer mal ein Fake rein, aber meine Mitarbeiter versuchen, die Fake-Quote so gering wir möglich zu halten. Nicht, weil ich mich dann verarscht fühle, sondern weil die Glaubwürdigkeit der Sendung Schaden nimmt. Wir hatten mal den Fall, dass ein Typ eine merkwürdige HIV-Infektion vortäuschte. Das stellte sich als Fake heraus. Und sowas führt dazu, dass das Publikum den nächsten Anrufer zu einem ähnlichen Thema viel kritischer beäugt oder ihm überhaupt nicht glaubt.

Was fühlst, du wenn du weißt, dass tausende Menschen deine Sendung hören?

Ich versuche, mir das so wenig wie möglich vor Augen zu halten. Sonst werde ich verrückt. Ich muss gerade bei dieser Art Sendung unbedingt und ganz auf meinen Gesprächspartner konzentriert sein. Denn die Hauptperson ist der Anrufer.

Zum Abschluss noch: Hast du Vorsätze für das Jahr 2014?

Nein, für mich hat ein Jahreswechsel keine Bedeutung. Im Grunde fängt doch an jedem Tag ein neues Jahr an. Also nehme ich mir etwas für den kommenden Tag vor.

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